Pesch, Hans Josef:

Schlüsseltechnologie Mathematik

Kapitel "Fazit und Ausblick" / Auszüge



„Die Mathematik hat sich in den letzten Jahrzehnten als unverzichtbares, mächtiges und ständig an Einfluss gewinnendes Hilfsmittel erwiesen, mit dem interessante und wichtige Problemstellungen aus den verschiedensten Gebieten gelöst werden können. Die Vorgehensweise ist dabei im wesentlichen immer die gleiche:
 

Mathematische Modellbildung: Zunächst wird das praktische Problem in die Sprache der Mathematik, in Gleichungen übersetzt. Unerlässlich ist hier die Zusammenarbeit zwischen Anwendern und Mathematikern. Schon jetzt sollte man mögliche Lösungsverfahren im Auge haben, um für die konkrete Lösung geeignete Modelle zu entwickeln.  

Mathematische Analyse: Dann wird die resultierende mathematische Aufgabe - in der Regel handelt es sich um eine Reihe voneinander anhängiger Teilaufgaben - auf Existenz und Eindeutigkeit sowie auf stetige Abhängigkeit von den Eingabedaten untersucht, sofern dies möglich ist.

Entwicklung eines mathematischen Lösungsverfahrens: Geeignete mathematische Methoden zur konkreten Berechnung der Lösung müssen sodann ausgewählt oder bekannte Verfahren der Aufgabenstellung angepasst oder gegebenenfalls neue Methoden entwickelt werden. Diese Methoden können analytischer - dies ist eher die Ausnahme - oder numerischer Natur sein. Im ersten Fall wird man die Lösung direkt analytisch berechnen und zum vorletzten Punkt dieser Liste gehen. Im letzteren Fall müssen die numerischen Methoden auf Eigenschaften wie Stabilität gegen Rundungsfehler, Konsistenz mit der Aufgabenstellung und Konvergenzgeschwindigkeit untersucht werden.

Implementierung des mathematischen Verfahrens auf Computern: Im Falle einer nur numerisch lösbaren Aufgabe muss das mathematische Verfahren in eine für einen Rechner verstehbare Sequenz von Einzeloperationen, einen Algorithmus, zerlegt werden. Man wird dabei je nach Aufgabenstellung geeignete Standardmethoden aus Programmbibliotheken zur Lösung von Teilaufgaben zusammenstellen, modifizieren oder neue Programm(teil)e entwickeln.  Dann muss der numerische Lösungsalgorithmus in geeigneter und effizienter Weise implementiert, d. h. in Software gegossen und gründlich getestet werden. Hierbei sind Kenntnisse der Informatik unerlässlich, insbesondere wenn man hochkomplexe Aufgabenstellungen z. B. nur auf (parallelen) Höchstleistungsrechnern in akzeptabler Rechenzeit lösen kann.

Rückübertragung aus der Sprache der Mathematik in die der Anwendung: Die numerischen Ergebnisse liegen in der Regel in Form von riesigen Zahlenkolonnen vor, die man in geeigneter Weise graphisch darstellen muss, um sie überhaupt beurteilen zu können. In jedem Falle muss die mathematische Lösung - sofern dies möglich ist - mit realen Daten verglichen werden, um das mathematische Modell zu validieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Im letzteren Fall muss man die obigen Schritte erneut durchlaufen, bis eine ausreichend gute Übereinstimmung zwischen Modell und Realität erreicht ist.

Rückführung der mathematischen Lösung in das Anwendungsproblem: Schließlich muss die mathematische Lösung in die Anwendung eingebracht werden. Je nach Aufgabenstellung treten hier Probleme auf, die entweder in den Kompetenzbereich des Anwenders oder des Mathematikers fallen.

...

Seit 1980 hat sich der Anteil der Ausgaben für Mathematik im Rahmen der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Pendant der NFS (Nationale Forschungsstiftung der USA), verachtfacht, seit 1990 verdreifacht, und seit 1995 gab es einen Zuwachs von 50%. Imposant? Verglichen mit den amerikanischen Steigerungsraten ist uns die Mathematik „nur halb so teuer“! Die relativen Zahlen sprechen eine noch deutlichere Sprache: Gemessen am gesamten Fördervolumen der DFG stieg der Anteil der Mathematik von 2.0% auf 2.3% und zwar innerhalb der 20 Jahre (!) von 1980 bis 2000.

Lassen Sie sich herausfordern!   

Mathematik ist ein Muss für den technischen Fortschritt:

Mathematik ist unerlässlich für die Schlüsseltechnologien der Zukunft,
Mathematik ist selbst eine Schlüsseltechnologie der Zukunft,

aber:

Mathematikerinnen und Mathematiker sind Mangelware,

und in immer mehr Berufen werden mathematische Kenntnisse erwartet – wir stehen vor einem:

Jahrhundert der Mathematisierung der Wissenschaften.“

 

(Quelle: 
Pesch, Hans Josef: Schlüsseltechnologie Mathematik.
Stuttgart / Leipzig / Wiesbaden: Teubner-Verlag 2002, S. 131 –133 / Auszüge.
Diese aktuelle Neuerscheinung gehört zur erfolgreichen Teubner-Lehrbuchreihe
Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler“.)

 

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Siehe auch:

Aus Teubner-Büchern (von Albert Einstein
über "Ach Gott, ein Mathematiker!" bis zu
einer Fehleinschätzung von Bill Gates) ...



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Seite erstellt: Leipzig, 15.09.2002.

 

  © Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner (i. G.), Leipzig, 2002.