Geithner, Willy:
Bericht über die Angriffsnacht am 4.12.1943
im Werk B. G. Teubner, Leipzig C1, Poststr. 3/5.

 

Vom WLS.-Warndienst erhielt ich 3 Uhr 12 die Warnmeldung, daß starke Bomberverbände vor Berlin abgedrängt wurden und in zwei Verbänden Richtung Süden fliegen. Mit einem Angriff auf Leipzig ist zu rechnen.
Diese Meldung gab ich sofort weiter an die WLS.-Befehlsstelle, die mit WLL.-Stellv. Hofmann, Telefonist Barche und Telefonistin Rausch besetzt war, mit der Anweisung, sofort die vorzubereitenden Maßnahmen einzuleiten, damit die im Werk befindlichen Einsatzkräfte sofort ihre vorgesehenen Posten beziehen.
Ich begab mich, wie immer bei einlaufenden Warnmeldungen, auf den Beobachtungsstand auf dem Dach des Gebäudeblocks II (Buchbinderei). Kurze Zeit nach meiner Postenbesetzung meldeten sich bei mir 3 Uhr 22 zwei Meldegänger und ein Telefonist. Von den Brandwachenposten I – II – III erhielt ich die Meldung, daß die Posten mit je drei Mann besetzt sind. Die Befehlsstelle meldete, daß der Hydrantentrupp und Sani-Trupp zum Einsatz bereitstehen. 3 Uhr 26 meldete die Befehlsstelle, daß alle vorgesehenen Posten besetzt sind. Die Einsatzstärke betrug 31 Personen, einschl. 10 Frauen.
 

1. Der Angriff auf die Stadt und das Werk.

Ab 3 Uhr 30 waren starke Fliegergeräusche zu hören aus den Richtungen Norden und Osten. In größerer Entfernung war heftiges Flakfeuer wahrnehmbar. Der Motorenlärm wurde stärker. Das gesamte Stadtgebiet war erhellt von Leuchtkugeln, Leuchtkaskaden und sogenannten Christbäumen. Über uns standen Leuchtkaskaden, und viele Christbäume über dem Hauptbahnhofsgelände.
Die ersten Bomben fielen in nördlicher Richtung – in der Stadtmitte und in unsere unmittelbare Nähe. Erst nach den Bombenwürfen, 3 Uhr 39, erfolgte Fliegeralarm (im öffentlichen Netz).
Starke Bomberstaffeln im Tiefflug, die Flugzeuge waren am taghellen Himmel gut zu erkennen, hatten Kurs Nord-Süd. Um uns war die Hölle los. Sprengbomben, Brand- und Phosphorbomben verrichteten ihre vorbestimmte Arbeit. Schwere Detonationen kamen vom Hauptbahnhof, Hauptpostgebäude, Hotel Königshof, Neues Theater. Spreng- und Brandbomben fielen auf das Setzerei- und Druckereigebäude und die Kraftzentrale.
Mit meinem Melder mußte ich den Beobachtungsstand verlassen, da immer neue Bomberverbände im Anflug zu beobachten waren. An die Befehlsstelle gab ich die Meldung, daß ich meinen Posten verlasse und in die Befehlsstelle komme.
Mit den Brandwachen-Posten und zwei Meldern machte ich Kontrollgänge auf den Böden von Block II und III (Buchbinderei  – Setzerei).
Feuerausbruch wurde nicht festgestellt, aber Sprengbombeneinschläge machten uns sehr zu schaffen, da überall der Weg versperrt war durch die Sprengwirkungen. Die Fenster und Türen waren auf den Böden alle herausgerissen.
Über den Bücherboden Block I a (Poststr. 5) gingen wir zu der Haupttreppe des Verlagsgebäudes. Die Fenstereinbauten der Treppe waren durch den starken Luftdruck herausgerissen. Nur mit großer Mühe kamen wir zur Befehlsstelle.
Ich teilte die Einsatzkräfte auf die drei Schutzräume ein und bezog Beobachtungsposten im Erdgeschoß des Verlagsgebäudes, an der Hoftür. Den Hof konnte ich nicht betreten, da der Bombenabwurf stark zunahm und auf dem Hof Phosphorkanister und Stabbrandbomben ausbrannten. Durch den Luftdruck eines Bombeneinschlags, scheinbar im Buchbindereigebäude, wurde die Hoftür herausgerissen. Mit meinem Melder krochen wir zur Pförtnerloge nach der Haupteingangstür und sahen, daß das Hauptpostgebäude bis zum 2. Stock in hellen Flammen stand. Die Hitze war unerträglich, und der starke Flammensturm trieb die Flammen vom Postgebäude zu unserem Verlagsgebäude.
Die Bomben fielen weiter, aber in unregelmäßigen Abständen. Neue Staffeln flogen heran und über uns hinweg, diesmal waren es Phosphorbomben. Dazwischen hörten wir Maschinengewehrfeuer. Der Hof I, zwischen Verlags- und Buchbindereigebäude, war ein gelbgrünes Flammenmeer. Die Uhr zeigte 4 Uhr 10. Nun schon bald 40 Minuten währte der Angriff. Die Luftschutzsirene auf dem Hotel Königshof heulte seit dem Fliegeralarm 3 Uhr 39 weiter und brach dann plötzlich ihren Heulton, langsam verstöhnend ab.
Nachdem etwas Ruhe eingetreten war und die schweren Einschläge nachgelassen hatten, gingen wir, von Deckung zu Deckung kriechend, nach dem Schutzraum, wo die Einsatzkräfte versammelt waren, und ich gab Befehl zum Einsatz mit Gasmaske und Stahlhelm.
Die Phosphorbrandsätze auf dem 1. und 2. Hof wurden mit Sand abgedeckt. Nach der Rampenseite auf dem 1. Hof blies ich eine Flüssigkeitsbombe aus. Alle Brandsätze wurden mit Sand abgedämmt.
Die Gebäude Buchbinderei – Setzerei – Druckerei standen in hellen Flammen.
Der Hydrantentrupp legte 3 Schlauchleitungen zum Setzerei- und Buchbindergebäude und zur Druckerei: Wasser wurde mit der Motorpumpe der Kraftzentrale gegeben, in die  Eingänge zu vorgenannten Gebäuden. Die Brandwachen holten alle verfügbaren Schaumlöscher und richteten diese auf die Eingänge. Der Wasserstrahl aus drei Schlauchleitungen wirkte wie Tropfen auf heißen Stein. 
 

2. Motorpumpe setzt aus.

Truppführer Lochmann des Feuerlöschtrupps meldete mir, daß die Motorpumpe kein Wasser mehr gibt. Ich ging zur Kraftzentrale, wo ich vorher die Motorpumpe angeworfen hatte und stellte fest, daß der Schaltraum der Zentrale brannte und Kurzschluß im Kraft- und Lichtnetz eingetreten war. Im Schaltraum lagen Phosphorbomben. Die Hitze hatte alle Kontakte geschmolzen. Das Dach im Maschinenraum der Zentrale brannte. Truppführer Lochmann hatte schon einen Trupp auf das Dach beordert und sie begannen mit Eimerketten den Dachbrand zu löschen. Ich versuchte nun mit Truppführer Lochmann im Kesselhaus die Dampfpumpe anzuwerfen. Nur sehr schwer konnte ich zur Pumpe gelangen, da Sprengbomben einen Teil des Kesselhausdaches zum Einsturz gebracht hatten. Sehr viele Phosphorbrandsätze lagen vor den Kesseln. Nachdem es mit vieler Mühe gelungen war, auf den Kesseln die Dampfventile für die Pumpe zu öffnen – und die Pumpe angelassen werden sollte, stellte ich fest, daß die Kolbenstangen vollkommen mit Phosphorbrei verkrustet waren. Trotz aller Bemühungen konnte die Pumpe nicht zum Laufen gebracht werden.

Truppführer Lochmann erhielt von mir den Auftrag, 2 Schlauchleitungen an den Hydranten an der Kraftzentrale anzuschließen. Der Hydrant gab kein Wasser. Zu dieser Zeit setzte an allen Leitungen die Wasserzufuhr aus, da die Hauptwasserleitung auf dem Georgiring durch Bomben beschädigt war.

Mit Eimerketten und Bandauflagen wurde nun versucht, Brände zu löschen. Es gelang nur zum Teil. Die gesamten Brände nahmen immer größere Ausdehnungen an.
Folgende Brände wurden feststellt

      a)
       im Zwischenblock von Block II nach Block III brannten auf beiden Seiten die oberen Stockwerke;

b)      aus den Bränden in den Druckereisälen waren Großbrände geworden;

c)       an der Rampenseite brannte das Treppenhaus am Hotel Königshof. Hotel Königshof brannte in allen Stockwerken.

d)      Großfeuer im Setzerei- und Buchbindereigebäude.

e)       Im Verlagsgebäude brannten die Fenstereinbauten der Vorder- und Hofseite, hervorgerufen durch den Funkenflug des
  Flammensturms;   

f)     im Lichthof Poststraße 5 Feuerausbruch.


3. Starker Flammensturm setzt ein.

An den vielen Brandstellen kämpften die Einsatzkräfte sehr tapfer. Im Kistenkeller, oberhalb des großen Schutzraumes, war an der Lichtschachtseite nach Hotel Königshof ein Brand ausgebrochen, welchen die Frauen der Bereitschaft Fritz – Geithner – Hofmann und 2 Männer des Sanitrupps nach vieler Mühe niederhalten konnten.
Der einsetzende unerträgliche Flammensturm machte den Männern des Einsatzes stark zu schaffen. Gasmaske, Mund- und Nasenschutz waren nur Behelf. Die starke Strahlhitze hemmte die Einsatzmöglichkeit und –kraft. Es traten auch viele Rauchvergiftungen ein, so daß ich nach ca. 2 Stunden Einsatz die Männer zum Teil zurückziehen mußte, um auch Verluste zu vermeiden.
Nachdem ich meinen Beobachtungsstand auf dem Dach verlassen hatte, gab ich der Befehlsstelle Auftrag, das Polizeirevier IV und die WLS.-Außenstelle anzurufen und Lagemeldung abzugeben und um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Wir erhielten keine Hilfe, da alle Stellen selbst in großer Not waren.


 4. Eintreffen des Betriebsführers im Werk.

Unser  Betriebsführer, Herr Martin Giesecke, rief während des Angriffs in der Befehlsstelle an und erkundigte sich über die Werklage und die Schäden. Nach der Meldung über die Schäden sagte er sein Kommen an.
Nach seinem Eintreffen, wenn ich mich recht entsinne, die Zeit der schrecklichen Stunden liegt zulange schon zurück, kam er mit dem Fahrrad, gab ich folgende Lagemeldung: Es wurde alles versucht, die vielen Brände zu löschen – das Werk zu retten –, aber alle Mühe war vergebens, da der Flammensturm immer neue Brände in dem doch sehr ausgedehnten Werkgelände verursachte.
Ich schickte dann Truppführer Lochmann und Melder Meinel zum Polizeirevier IV und nach der WLS.-Außenstelle, um eine Lagemeldung abzugeben. Beide konnten den Auftrag nicht ausführen, da die Post- und Querstraße, durch die sie durch mußten, ein Flammenmeer waren. Sie kamen mit Gesichts- und Hautverbrennungen zurück.
Nachdem Flammensturm und Funkenflug immer stärker wurden und das Hauptpostgebäude, Verlags-, Buchbinderei- und Setzereigebäude vom Feuer ganz erfaßt waren, wurde auf Anordnung des Betriebsführers zum Sammeln gerufen, um das Werk zu verlassen, da jede weitere Hilfe aussichtslos war. Als Sammelplatz wurden die Schwanenteichanlagen angegeben. Ich durchsuchte mit meinem Stellv. Kollege Hofmann die Schutzräume auf Zurückgebliebene und wir konnten feststellen, daß alles geräumt war. Mit dem Betriebsführer Herrn Giesecke, Sanitäter Zetsche, Kollege Barche und meiner Frau, verließen wir unser Werk gegen 7 Uhr. Es war sehr schwer durch den Flammensturm der Poststraße zu kommen.
 

5. Verhalten der WLS.-Einsatzkräfte.

Durch die anhaltenden Bombeneinschläge und Detonationen, die im Schutzraum sehr gut zu hören waren und die Gebäude durchschüttelten, waren die Frauen und Männer der Einsatzkräfte etwas eingeschüchtert und benommen. Nachdem aber die ersten Schrecksekunden überwunden waren und ich in den Schutzraum kam und den Einsatz anordnete, folgten sie erst sehr zaghaft, fügten sich aber dann nach einigen aufmunternden Worten willig und setzten sich unerschrocken bei den Löscharbeiten ein, obwohl diese bei noch fallenden Bomben erledigt werden mußten.
Jeder stellte seinen Mann bis zur Erschöpfung. Der starke Flammensturm, Strahlhitze, Gesteinsstaub und Phosphorwolken setzten den Löscharbeiten an den vielen Großbrandstellen Grenzen, über die nicht hinwegzukommen war.
Nach meinem Dafürhalten hätte auch ein starker Berufsfeuerwehreinsatz mit vielen Motorspritzen die Brände nicht verhindern können, da zu viele Brandausbrüche in dem ausgedehnten Werkgelände auftraten. Hinzu kam, daß nach kurzer Zeit im ganzen Stadtzentrum die Wasserzufuhr aussetzte.
Verletzt wurde während der Löscharbeiten von den Einsatzkräften niemand ernstlich. Nur leichtere Verletzungen durch Glassplitter, Hautabschürfungen, Verbrennungen und Prellungen wurden festgestellt. Die Kameraden der Scheinwerferbedienung der Heimatflak, die auf dem Dach des Setzereigebäudes stationiert waren, in Stärke von 5 Mann unter Führung von Dr. Heisig, beteiligten sich nach dem Angriff an den Lösch- und Hilfsarbeiten und leisteten dadurch wertvolle Hilfe.

 
6. Eingetretener Schaden.

Vollkommen ausgebrannt und zerstört wurden:
Druckerei mit Offsetabteilung.
Setzerei, einschl. Monotype-Stereoabteilungen.
Buchbinderei.
Rohlager – Papierlager in dem 1. Kellergeschoß.
Kraftzentrale, Maschinen- und Kesselhaus.
Kohlenbunker der Kraftzentrale mit ca. 250 t Brennstoffen.
Grundstück Poststraße 5.
Gebäude Georgiring 1, Hotel Königshof.
Gebäude Georgiring 2.
Gebäude Georgiring 3 und Saalbau.

Vollkommen ausgebrannt wurden:
Verlagsgebäude Poststraße 3.
Querstraße 15/17, Straßen-, Mittel-, Hofgebäude. 

Im Verlagsgebäude konnte das 2. Kellergeschoß von den Bränden eingedämmt werden, so daß hier die Rohlagerbestände und das Sicherungsarchiv für die wichtigsten Geschäftsunterlagen gerettet werden konnten, wie auch das eingelagerte Hab und Gut (der Gefolgschaft), in Koffern verpackt, erhalten werden konnte.

 

Leipzig, 10. Dezember 1957                                                                                                                                   W. Geithner.

 

(Quelle:
Irmgard Effenberger, Stuttgart / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2001.)

Erstveröffentlichung online am 01.07.2001 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de

Siehe auch: Stadtgeschichte, Teubner-Stiftung und Internet-Portal.
Sachsen Sonntag, Leipzig, vom 15.07.2001, 3(2001)28, S. 7.


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Seite erstellt: Leipzig, 01.07.2001.
Seite aktualisiert / erweitert: 21.02.2002.

 

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