Ehlers, Hans-Jürgen:
Leipzig, Poststr. 3 / 5
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Meine Frau
findet es bemerkenswert, daß man das Teubnerhaus in der Poststraße, in dem ich 1926 geboren
wurde, heute im Internet anschauen kann (und zwar unter
www.stiftung-teubner-leipzig.de
). Mein Enkel weist nun aber darauf hin, daß die Klinik, in der er geboren
wurde, sogar schon im Fernsehen zu sehen war. Doch daß man früher meist zu Hause
auf die Welt kam, war ihm völlig neu.
Heute sagt die Anschrift Leipzig, Poststr. 3 / 5, außerhalb Leipzigs nur noch
wenigen Buchwissenschaftlern etwas. Daß leitende Mitarbeiter namhafter Firmen
eine Dienstwohnung im Firmenareal hatten, war in den zwanziger und dreißiger
Jahren nichts besonderes. Genau läßt es sich nicht mehr feststellen, wann meine
Eltern Dr. Ilse Ehlers, geb. Köhler, und Dr. Hans Ehlers (1921 Prokurist, später
Verlagsdirektor bei BGT / siehe auch unten: Auszug aus dem
Adreßbuch des Deutschen
Buchhandels 1942) in die Dienstwohnung in der Poststraße gezogen
sind. Sicher ist aber, daß meine Mutter schon seit Sommer 1920 im Verlag in der Poststraße tätig
war, wie das mit B. G. Teubner unterschriebene Zeugnis von
Dr. Alfred Giesecke
vom 15. Juli 1922 beweist (s. u.).
Auch in der
BGT-Werkzeitschrift Nr. 5 vom April 1938
erwähnt Prokurist Werner Oltmanns in einem Aufsatz "30 Jahre
Schulbücher-Abteilung" meine Mutter: "Als das neue Geschäftshaus (1911) bezogen
wurde, kam die Schulbücherabteilung in den II. und zum Teil in den III.
Stock ... Sie waren damals durch einen kleinen Aufzug, der sich neben der Tür zum
Zimmer von Herrn Dr. Ehlers befand, miteinander verbunden." (Einschub H.-J. Ehlers
im Februar 2002: Ein Aufzug als
Ehestifter?) Weiter im Zitat W. Oltmanns: "... als ich 1921 die Schulbücherabteilung
bei einem ersten kurzen Besuch kennenlernte, leitete die Gattin unseres
Verlagsdirektors Dr. Ehlers, damals noch Fräulein Dr. Köhler, die Abteilung, die
aus etwa neun Damen bestand ... Man wartete damals auf die Schulreform, für die
dann erst 1925 die Richtlinien erschienen. Ostermann, Lietzmann, das Döbelner
Lesebuch, Grimsehl und Henninger waren damals die
Hauptunterrichtswerke, Bücher, die allen alten und manchem jungen Teubnerianer
noch geläufig sind, wenn auch heute alles nur unter einer Nummer läuft."
Übrigens gilt heute der Sohn H.-J. Ehlers der erwähnten Frau Dr. Köhler als einer der Väter der ISBN, der internationalen Standardbuchnummer.
Alle
vier Ehlers-Kinder wurden in der Poststr. 5 geboren (1923 / 1925 / 1926 / 1929).
Die große Wohnung im 4. Stock dehnte sich im Laufe der Jahre
immer weiter aus. Auf den langen Korridoren konnte man sogar radfahren. Doch der
Teubner-Schulbuchverlag wuchs und brauchte Platz. So zogen wir 1938 nach Leipzig-Gohlis,
später ins eigene Haus in der Rückertstraße (s.
u.). Es wurde ein
teurer Umzug, weil alle Elektrogeräte auf 220 Volt umgestellt werden mußten. Im
Teubnerareal hatten wir selbsterzeugten Strom von 110 Volt. Nur meine
elektrische Eisenbahn funktionierte nicht mehr.
Der Kontakt der Kinder mit dem Teubner-Haus blieb weiterhin eng, auch nachdem
mein Vater bei Kriegsbeginn als Offizier eingezogen wurde. Frau Helene Rohleder, die
als Kontoristin im
Januar 1937 ihr 25jähriges Betriebsjubiläum feierte, sammelte für mich
Briefmarken. In der Werkstatt fiel immer etwas für die Altmetall-Sammlung der
Thomasschule ab, und Pförtner Alfred Barche hielt mich über jene Geschehnisse im Hause
BGT auf dem Laufenden, die sonst noch für einen Gymnasiasten wichtig waren. Herr
Dr. Hermann Gieselbusch half, wenn notwendig, bei den alten Sprachen, und Herr
Dr. Herbert Heisig bei der Mathematik.
1943 wurden die Schüler der Jahrgänge 1926 / 27 als Luftwaffenhelfer in der
Leipziger Umgebung eingesetzt. Wir lagen wenige hundert Meter entfernt vom
heutigen Messegelände in Leipzig-Wiederitzsch. Scharf geschossen haben wir
solange ich dort war aber
nicht. Im letzten Quartal 1943 kam ich zum Arbeitsdienst und später zur
Marineflak. Der enge Kontakt mit Rechnern, damals hießen sie Kommandogeräte und
nicht Analogcomputer, blieb und hat bis heute nicht aufgehört, auch wenn wir
inzwischen fast überall digital arbeiten.
1945 kam ich nach kurzer Gefangenschaft zurück nach Leipzig: Abitur an der
Thomasschule 1946, danach Buchdruckvolontär bei B. G. Teubner, wie es auf der Leipziger
Kennkarte 1946 (s. u.) heißt. Während meiner Zeit bei Teubner habe ich viel gelernt,
beispielsweise im Gespräch mit alten Setzern, die der Zeit nachtrauerten, als
noch nach "berechneter Leistung" gearbeitet wurde. In Leipzig hatte jeder
größere Druckbetrieb eine firmenspezifische Drucktypenhöhe. Dem Kunden blieb
somit kaum die Möglichkeit, den herstellenden Betrieb zu wechseln. Nach
dem Krieg
haben wir die verschiedenen Handsatz-Vorräte mit zweirädrigen Karren zu Schelter & Giesecke zum Abschleifen gefahren. Über die Mathematik-, Latein-
und Griechischkenntnisse der erfahrenen BGT-Setzer konnte ich immer nur
staunen, besonders wenn es galt, handschriftliche Notizen der Autoren zu
entziffern. Aber das ist schon eine andere Geschichte.
Heute geht es um das Teubner-Gebäude in der Poststraße: Daß die Poststr. Nr. 5
des Firmenareals beim Luftangriff im Dezember 1943 völlig zerstört wurde,
beschreibt Willy Geithner in seinem Bericht.
Es gibt aus den späten vierziger Jahren ein Foto (s. o.), wo der linke Teil des
Teubner-Gebäudes, d. h. die Poststr. 3, noch fast so aussieht, wie 1911 oder
1937, während der rechte Teil, die Nr. 5, fehlt. Die Kleinbahnschienen, auf
denen der Schutt weggefahren wurde, sind auf dem Foto deutlich zu erkennen. Das
Bild stammt aus einer Fotosammlung, die Frau Hilde Zöllner, langjährige Teubner-Mitarbeiterin und Freundin der Familie Ehlers, meiner Frau 1957 zu
unserer Hochzeit in Stuttgart geschenkt hat. Von Frau Zöllner stammt auch ein
Foto von 1941 (s. u.), das meine Eltern mit zwei weiteren Teubnerianern zeigt: links
neben meiner Mutter Frl. Dr. Auguste Kempff und ganz links Frl. Kath. Coenen, die Sekretärin
meines Vaters.
Verständlich, daß ich bei meinem ersten Messebesuch in Leipzig in den 70er
Jahren meiner Frau mein Geburtshaus in der Poststraße zeigen wollte. Das aber
stieß auf beträchtliche Schwierigkeiten, weil es die gesamte Straße nicht mehr
gab. Außerdem machte mein Sächsisch auf die bewachenden Vopos einen sehr
negativen Eindruck. Sie glaubten sich parodiert und konnten nicht verstehen, daß
ich heute noch nicht ohne heimatlichen Dialekt sprechen kann und will. Das
dialektfreie Hochdeutsch meiner Frau schaffte es aber dann doch, daß ich ihr die
Reste des Teubner-Hauses zeigen konnte. Fotos waren leider nicht erlaubt.
Doch ich bin hartnäckig. Mit dem
Foto klappte es erst nach der Wende. Die Poststraße gab es auch im Oktober
1993 nicht mehr, aber die Telekom, die damals für das Gebäude zuständig war,
hatte Verständnis für einen Journalisten. Ich durfte den noch erhalten
gebliebenen Teubner-Eingang Poststr. 3 fotografieren, äußerlich fast
unverändert: Die wuchtige Eichentür mit der Hausnummer 3 und der halbrunde
Torbogen mit dem Firmensignet über dem Portal. Ich hatte damals nur wenig Zeit
zum Fotografieren und glaubte, das Versäumte jetzt bei jedem Leipzig-Besuch -
notwendig wegen meiner buchwissenschaftlichen Arbeit zum Leipziger Platz - noch
nachholen zu können. Leider hatte ich unrecht. Beim nächsten Besuch waren alle
Reste der früher so eindrucksvollen Teubner-Gebäude verschwunden.
Es freut mich sehr, daß
einige Fotos und Archivalien nun
durch die in Leipzig in Gründung befindliche Stiftung Benedictus Gotthelf
Teubner online zugänglich werden.
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Innenhof der Poststr. 3/5 (Aufbruch der Familie Ehlers zur Ferienreise 1934) |
Leipzig-Gohlis, Rückertstr. 10 |
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BGT-Zeugnisse für Dr. Ilse Köhler (15.07.1922) und
für Hans-Jürgen Ehlers
(30.12.1953) ...
Bilder bitte vergrößern:
Aus dem Adreßbuch des Deutschen Buchhandels 1942 (bitte vergrößern):
(Quelle:
Dr. Hans-Jürgen Ehlers, Stuttgart / Archiv
der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2002.)
Erstveröffentlichung online am
21.02.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
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Siehe auch:
Graphisches Viertel der Stadt
Leipzig ...
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Seite erstellt:
Leipzig, 21.02.2002.
© Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner (i. G.), Leipzig, 2002.