Vockert, Günter:
Für B. G.
Teubner 1944/45 als Fahrradkurier in Leipzig
Während des Bombenangriffs
in der Nacht zum 4. Dezember 1943 versanken große Teile des Leipziger
Graphischen Viertels in Schutt und Asche, darunter sowohl
das Teubnersche
Geschäftshaus in der Poststraße als auch die angrenzenden Produktionsanlagen.
Ich hatte im Herbst 1943 im Verlag vorgesprochen und war als kaufmännischer
Lehrling für Anfang April 1944 eingestellt worden. Sehr genau erinnere ich mich
noch an diesen ersten Besuch bei B. G. Teubner und an das beeindruckende
Firmengebäude. Vom Augustusplatz aus, vorbei am Hotel Königshof, erreichte man
schon nach wenigen Schritten die Teubnerschen Arkaden. Über dem Haupteingang
Poststraße 3 befand sich ein schmiedeeiserner Torbogen mit dem einprägsamen und
weltbekannten Signet BGT. Am Pförtner Barche
vorbei betrat man die Eingangshalle des Verlagshauses. Gegenüber vom Eingang
befand sich der Paternoster, rechts davon die
Haupttreppe, die zu den oberen
Etagen führte.
Als ich termingerecht Anfang April 1944 in die Firma eintrat, existierte von all
dem nahezu nichts mehr. Das Stammhaus in der Poststraße war völlig ausgebrannt,
nur der Luftschutzkeller im zweiten Kellergeschoss hatte dem Feuersturm
standgehalten. An übliche kaufmännische Lehre war unter diesen Umständen
praktisch nicht zu denken, so dass wir Lehrlinge uns vor allem am Aufräumen und
Bergen beteiligten. In mühsamer Kleinarbeit gelang es, unter Trümmern
verschüttete Druckmaschinen Teil für Teil auszugraben und wieder instand zu
setzen. Doch darüber an anderer Stelle mehr (siehe auch:
Erinnerungen an die Anfänge bei B.
G. Teubner in Leipzig 1945).
Teubner hatte 1944 etwa vier oder fünf neue Lehrlinge eingestellt, und uns
oblagen unter anderem auch die regelmäßigen Kurierdienste innerhalb der Stadt
Leipzig. Unmittelbar nach der Zerstörung war die Arbeit in provisorischen
Ausweichquartieren und auch in Privatwohnungen wieder aufgenommen worden. Wir
sorgten für den Informationsfluss und transportierten per Fahrrad Post,
Umlaufmappen sowie innerbetriebliche Unterlagen.
Etwa ein- bis zweimal pro Woche begann für mich diese Rundfahrt in der
Poststraße. Dort waren im zweiten Kellergeschoss Rohlagerbestände erhalten
geblieben, aber auch das Sicherungsarchiv mit wichtigen Unterlagen und
unersetzlichen historischen Dokumenten zur Firmengeschichte. Jetzt befanden sich
dort Teile der Auslieferung, und zwar unter der Leitung von Paul Andersen, einem
erfahrenen Buchhändler. Er arbeitete mit seinen Leuten in diesen fensterlosen
Kellerräumen - unter schwierigsten Bedingungen -, bis man nach Kriegsende erste
Räumlichkeiten im Erdgeschoss der Poststraße 3 provisorisch wieder hergerichtet
hatte.
Zwischen Geröllhalden am Georgiring, oft in der Straßenmitte fahrend, führte
mich meine Fahrradtour dann zur Nonnenstraße. Teubner nutzte dort vorübergehend
eine Etage im damaligen graphischen Betrieb Dr. Karl Mayer. Weitere Teile der
Auslieferung waren in diesem unzerstörten Gebäude untergebracht, unter anderem
auch die Fakturierung und die Rechnungsabteilung. Leiter dieser schätzungsweise
fünfundzwanzig Mitarbeiter war Dr. Gerhard Aengeneyndt. Ein separater Raum in
der Nonnenstraße stand den technischen Zeichnern des Teubner-Verlages zur
Verfügung. Auch hier übergab ich Unterlagen und nahm Umlaufmappen sowie
Schriftstücke entgegen. Übrigens befindet sich heute in diesem Gebäude im
Stadtteil Plagwitz das Spezialmuseum „Werkstätten und Museum für Druckkunst
Leipzig“.
Von der Nonnenstraße 38 fuhr ich dann stets in die Alte Straße 2.
Dort hatten in
der Villa des Teubner-Geschäftsführers Martin Giesecke die Buchhaltung und Teile
der Redaktion ein vorläufiges Domizil gefunden. Diese zweigeschossige Villa mit
Gartengrundstück wurde nach der Flucht Martin Gieseckes in die Bundesrepublik
seit den fünfziger Jahren als Kindereinrichtung genutzt.
Anschließend ging es mit dem Fahrrad weiter nach Leipzig-Gohlis, in die
Rückertstraße. Auch dort arbeiteten in einer Privatvilla Teile der Redaktion.
Dieses Gebäude lag nahe meinem Elternhaus in der Dinterstraße, so dass ich oft
schnell noch zu Hause etwas essen und mich ein wenig aufwärmen konnte, bevor
anschließend der Rücktransport der eingesammelten Unterlagen zum
Teubner-Stammhaus in der Poststraße erfolgte.
(Quelle:
Günter Vockert, Leipzig / Archiv
der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2001.)
Erstveröffentlichung online am
01.07.2001 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
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Seite erstellt:
Leipzig, 01.07.2001.
Seite aktualisiert / erweitert:
21.02.2002.
© Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner (i. G.), Leipzig, 2002.