Krämer, Heinrich:
Siegf
ried Otto
- Gründer der Firma Giesecke & Devrient in München.
Zu seinem fünften Todestag



Geboren am 25. Dezember 1914 in Halle an der Saale.
Gestorben am 17. August 1997 in München.

Wiederbegründer und Inhaber der Firma Giesecke & Devrient (G+D), München, 1948 – 1997.
Vorsitzender des Vorstandes der Giesecke & Devrient AG;
Vorsitzender der Geschäftsführung der Giesecke & Devrient GmbH, 1948 – 1994.


Siegfried Otto betrat, nach kaufmännischer Ausbildung und Praxis, die Laufbahn des aktiven Offiziers. Am Zweiten Weltkrieg nahm er als Hauptmann der Artillerie teil. Von 1945 bis 1948 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.

In den Familienkreis der Inhaber der Firma Giesecke & Devrient in Leipzig war Siegfried Otto im Jahre 1943 durch die Heirat mit Jutta Devrient, der Tochter des Hauptaktionärs und Vorsitzenden des Vorstandes Ludwig Devrient (1894 – 1948), eingetreten. Die Firma Giesecke & Devrient in Leipzig wurde 1946 enteignet und bis 1991 als „Volkseigener Betrieb“ geführt. Ludwig Devrient starb 1948 unter nicht geklärten Umständen in der Haftanstalt Bautzen.

Siegfried Otto baute die 1852 gegründete „Officin für Geld- und Werthpapiere“ durch ihre Sitzverlegung von Leipzig nach München im Jahre 1948 von Grund aus neu wieder auf und wechselte im Alter von 33 Jahren in die Laufbahn des Unternehmers. Die künstlerisch-technische und wirtschaftliche Entwicklung der wiedererstandenen Firma G+D ermöglichte Otto im ersten Nachkriegsjahrzehnt durch die Erfüllung der ihr gestellten vielfältigen Aufgaben, die er aus der Währungsreform vom 21. Juni 1948, mit der Umstellung der Währung von der Reichsmark auf die Deutsche Mark, und aus dem Gesetz zur Bereinigung des Wertpapierwesens vom 19. August 1949 sowie auch aus dem Londoner Schuldenabkommen vom 26. Februar 1953 ableitete: namentlich den Neudruck fast aller in der Bundesrepublik umlaufenden Wertpapiere und der durch die Neuordnung der Großbanken erforderlichen DM-Aktien und Auslandsanleihen sowie die Herstellung des größten Teils der Wertpapiere, die an die Stelle der Anleihen des früheren Deutschen Reiches, verschiedener Länder und Industriegesellschaften zu treten hatten. Die G+D-Wertpapiere wurden wiederum, wie früher, an der New York Stock Exchange zugelassen, da sie die strengsten Qualitätsbedingungen erfüllten. Die Zerschlagung der I. G. Farbenindustrie durch Kontrollratsgesetz vom August 1950 und der Wiederaufstieg ihrer Nachfolger löste eine der größten Wertpapiertransaktionen der Wirtschaftsgeschichte aus und bedeutete für G+D den größten Wertpapierdruck seit Jahrzehnten, der nur durch neukonstruierte Hochleistungsmaschinen ausgeführt werden konnte und für den 50 Originalplatten geschaffen und 80 Druckplatten hergestellt werden mussten, von denen noch nie erreichte Wertpapierstückzahlen von rund 1 Milliarde DM ausgedruckt wurden. Die Entflechtung der Ruhrmontanindustrie und die dadurch notwendige größte Umschichtung der Besitzverhältnisse in der Geschichte des Ruhrreviers forderte von G+D die Schaffung von über 40 Wertpapieren, um den verselbständigten Unternehmen Eigenständigkeit und Eigenleben zu verleihen.

Mit den Erzeugnissen von G+D förderte Siegfried Otto den Aufbau der Wirtschaft und Kreditwirtschaft nachhaltig; am grenzüberschreitenden Kapitalverkehr nahm das Unternehmen wieder aktiv teil.

Den ersten Banknotendruck der Nachkriegszeit führte G+D 1955 für Peru aus. Der Druck der Währungen für Ägypten, Bangladesh, Kambodscha, die Philippinen und Zaire schloß sich an.

Die Geschichte des Banknotendrucks in der Bundesrepublik Deutschland ist die Frucht der Ideen, der Erfindungskraft und der künstlerisch-drucktechnischen Höchstleistung Siegfried Ottos und seines Unternehmens. Auf hundertjährige Erfahrenheit in dieser dem höchsten Anspruch genügenden Spezialdisziplin bauend, entwickelte, konstruierte, erprobte und baute G+D die modernsten Banknotendruckmaschinen der Welt, die den mehrfarbigen Druck von tief gravierter Stahlplatte ermöglichten und gleichzeitig neue sicherungstechnische Anwendungen zuließen. Dadurch war G+D für die anspruchvollste Aufgabe gerüstet, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt gestellt wurde.

Die Deutsche Bundesbank, durch Gesetz vom 26. Juli 1957 ins Leben gerufen, betraute Giesecke & Devrient als erstes und einziges Privatunternehmen noch im gleichen Jahr mit der Herstellung der Werte DM 5, DM 20, DM 100 und DM 1000 (der Bundesdruckerei wurde die Herstellung der Werte DM 10, DM 50 und DM 500 übertragen). Das auf dem Vertrauen der Auftraggeber in die technische und künstlerische Leistungskraft der Firma beruhende Privilegium, deutsche Banknoten wieder in Deutschland herstellen zu können, wurde für G+D der wichtigste Markstein auf dem Wege der Aufwärtsentwicklung des Unternehmens in den Nachkriegsjahrzehnten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Um eingedenk der in den Nachkriegsjahren gesammelten Erfahrungen sein Unternehmen auf Dauer zu sichern und möglichst unabhängig und unbeeinflußt von politischen Veränderungen die Auslandsmärkte zu pflegen und weiterzuerschließen, gründete Otto 1958 die Firma Giesecke & Devrient de Mexiko S. A. als erste ausländische Tochtergesellschaft.

Durch die Teilung Deutschlands verlor die Bundesrepublik die im Osten Deutschlands gelegenen und zur Herstellung von Banknotenpapieren allein befähigten technischen Anlagen. Dank der alleinigen Initiative Siegfried Ottos konnte – nach dem Banknotendruck – auch die Banknotenpapierherstellung – die Krönung der „weißen Kunst“ – wieder in der Bundesrepublik Deutschland zentriert werden. Mit diesem Schritt betrat die Firma G+D Neuland. 1964 erwarb Otto die Papierfabrik Louisenthal in Gmud am Tegernsee. Nach zehnjähriger Planung und Entwicklung errichtete Otto, unter Modernisierung der Verfahren der Wasserzeichenherstellung und Rohstoffaufbereitung, eine völlig neu konstruierte Banknotenpapiermaschine, die als die modernste Rundsiebspezialanlage gerühmt wurde. Auf dieser Produktionsanlage wurde und wird das Spezialpapier für den Druck der gesamten deutschen Währung und der Eurowährung sowie für die Banknoten von rund 100 Ländern hergestellt.

Mit der Idee, der Entwicklung, dem Aufbau und der Herstellung des einheitlichen eurocheque-Systems und des ergänzenden Kreditkartensystems Eurocard trat Siegfried Otto seit 1968 der amerikanischen Ideologie der „cashless and checkless society“ wirkungsvoll entgegen und trug entscheidend zu der größten Leistung des europäischen Kreditgewerbes in den Nachkriegsjahrzehnten bei.

Otto erkannte früh die neuen Aufgaben, die sich seinem Unternehmen stellten und die ihren Ursprung im stetig wachsenden Mengengeschäft der Kreditwirtschaft und Wirtschaft, in der Explosion der Zahlungsverkehrssysteme und dem daraus resultierenden Zwang zur Automatisierung und Rationalisierung hatten. Zur Lösung dieser Aufgaben gründete Otto 1970 die G. A. O. Gesellschaft für Automation und Organisation als neue Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft von G+D, und er berief als ihren führenden Kopf Helmut Gröttrup, der ihm in rund fünfzehn Jahren bis zu seinem Tode als genialer Erfinder physikalisch-technischer Verfahren und Systeme und als unentbehrlicher Ratgeber zur Seite stand. Diese Gründung war auch die Geburtsstunde der Idee, Banknoten, Travelers Cheques, Schecks und Scheckkarten zu entwickeln und herzustellen, die automationsfähig, maschinell unbetrüglich identifizierbar und maschinell lesbar sind. Durch die Erfüllung dieser Aufgaben erschloß Otto der Forschung, Entwicklung und Technik weltweit neue Wege, und er stellte G+D die notwendigen Werkzeuge zur Verfügung, um die Weiterentwicklung des Unternehmens auch durch Ausdehnung auf neue Arbeitsgebiete und Erzeugnisse zu ermöglichen.

1975 schuf G+D die erste automationsfähige Banknote und bahnte die Automatisierung und Rationalisierung der Geldbearbeitung im System von Notenbanken an, die den bedeutsamsten Anwendungsbereich automationsfähiger Banknoten darstellt. Im Auftrag der Deutschen Bundesbank entwickelte G+D durch die G. A. O. ein System zur Automatisierung der Papiergeldbearbeitung im Bundesbank- und Landeszentralbanksystem und konstruierte die zur Systemfunktion notwendigen automatischen Banknotenbearbeitungsmaschinen, die seit den achtziger und neunziger Jahren in fast allen Notenbanken der Welt für die Zustands- und Echtheitsprüfung sowie die Sortierung von Banknoten eingesetzt werden.

Siegfried Otto leitete gleichzeitig die Entwicklung und Herstellung von Magnet- und Chipkarten für die Telekommunikation und das Gesundheitswesen ein und fügte dem „System Banknote“ das „System Karte“ als wichtigstes ertragreiches Arbeitsgebiet hinzu.

Nach der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands durch Vertrag vom 3. Oktober 1990 erwarb Otto das 1946 konfiszierte Stammhaus von Giesecke & Devrient in Leipzig, Nürnberger Straße / Johannisgasse, durch Kaufvertrag mit der Treuhandanstalt Berlin vom 8. August 1991. Durch Vertrag mit der Treuhandanstalt vom 1. Juni 1991 erwarb Otto die in der Sächsischen Schweiz gelegene Papierfabrik Königstein, die er als Tochtergesellschaft mit der Papierfabrik Louisenthal verband, um für G+D die alleinige Banknotenpapierfabrikation in Deutschland zu sichern.

In nahezu fünf Jahrzehnten schuf Siegfried Otto, mit dem Wertpapierdruck beginnend, den durch Produkte höchster Qualität gekennzeichneten Technologiekonzern Giesecke & Devrient, der die Banknote und die Spezialdruckmaschine, die Banknotenpapiermaschine und das Banknotenpapier mit den Banknotenbearbeitungsautomaten und den die mobile Telekommunikation wie den elektronischen Zahlungsverkehr ermöglichenden Kartensystemen zu einer Firmensymbiose singulären Charakters verbindet.

Stets suchte er den höchsten Ansprüchen der Kreditwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft durch die Erzeugnisse seines Unternehmens zu genügen. Seine Ideen und ihre Realisierung erzeugten die fortwirkende Kraft des Vertrauens der Partner und Kunden und verbürgten ihm die Kontinuität im Wandel.

Zum 125jährigen Bestehen der Firma Giesecke & Devrient im Jahre 1977 schrieb Otto, die Errungenschaften und Produkte des Unternehmens bezeugten, „in welchem Umfang ein auf technischem, künstlerischem und kaufmännischem Gebiet gleichartiges Vertrauen dem Hause G+D aus dem In- und Ausland zuteil wurde ... Wenn wir uns heute – wie einst – nach besten Kräften bemühen, dem Vertrauen und unserer Verantwortung gerecht zu werden, so auch deshalb, weil jede Aufgabe aus dem In- und Ausland ein Saatkorn des Vertrauens ist, aus dem ein fester Glaube an eine sichere Zukunft wachsen möge.“


Siegfried Otto – von der Treue und dem Vertrauen, die er gab und empfing, getragen und von der Antriebskraft der Idee, aus der sein Unternehmen erwuchs, gelenkt – stand dank seiner Persönlichkeit und Autorität als Unternehmer großen Zuschnitts mehr als 45 Jahre der 1995 mehr als 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vereinigenden Firma Giesecke & Devrient vor, ein die Dauer im Wechsel verkörpernder Prinzipal, unwandelbar durch sein Vorbild und Beispiel.


Schwieberdingen, 27.08.2002


(Quelle:
Dr. h. c. Heinrich Krämer, Schwieberdingen / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2002.)

Erstveröffentlichung online am 30.09.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de


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Siehe auch:
Krämer, Heinrich:
Rede für Siegfried Otto bei der Trauerfeier am 27. August 1997
im Innenhof der Firma Giesecke & Devrient München ...


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Seite erstellt: Leipzig, 30.09.2002.

 

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