Krämer, Heinrich:
Rede für Siegfried Otto bei der Trauerfeier am 27. August 1997
im Innenhof der Firma Giesecke & Devrient München



Verehrte Frau von Mitschke-Collande,
Verehrte Frau Miller,
Lieber Herr von Mitschke-Collande,


als Vertreter des Verlages B. G. Teubner nehme ich mit Ihnen Abschied von Siegfried Otto, dem nicht nur Giesecke & Devrient, sondern auch unsere 186 Jahre alte Firma ihr Fortleben, ihren Wiederaufbau und eine neue Blüte in den letzten drei Jahrzehnten verdankt. Er stiftete den Firmenverbund neu, indem er 1969 – 21 Jahre nach Wiedergründung von G&D – unseren Verlag in seine Obhut nahm.

Die Verbundenheit der Mitglieder der Inhaberfamilie Giesecke in beiden Unternehmen reicht bis in die Gründungsepoche von Giesecke & Devrient zurück. Bereits in der Enkelgeneration unseres Firmengründers waren B. G. Teubner und Giesecke & Devrient verwandtschaftlich und wirtschaftlich in engem Bunde. In diesen Familienkreis trat Herr Otto vor 55 Jahren ein. Dadurch begegnete er dem Manne, der, wie sein Vater Bruno Giesecke und sein Onkel Hermann Giesecke, der mit Alphonse Devrient die „Officin für Geld- und Werthpapiere“ gründete, Mitinhaber von Giesecke & Devrient war und der bereits 50 Jahre als Hauptgesellschafter den großen Verlag B. G. Teubner mit dem viertgrößten graphischen Betrieb Deutschlands führte: Alfred Giesecke, unserem Vorgänger und unserem größten Verlegervorbild. Siegfried Otto hat mir oft erzählt, welche Verehrung er diesem Manne entgegenbrachte, der den größten deutschen Schulbuchverlag in weniger als 10 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg aufbaute und der gleichzeitig den wissenschaftlichen Universalverlag B. G. Teubner zu seiner höchsten Blüte führte. Verehrung für Alfred Giesecke erfüllten auch die Erinnerungsworte, die Herr Otto sprach, als wir 1969 die künftige Entwicklung von B. G. Teubner planten: „Wenn man in das Leipziger Verlagshaus in der Poststraße 3 eintrat, dann war es, wie wenn man einen Dom betrat.“ Aus solcher Erfahrung entstand eine Verbundenheit, die auch seinen Vetter, Martin Giesecke, den Neffen Alfred Gieseckes und dessen Partner in der Unternehmensleitung, einschloß.

Herr Otto gründete sogleich nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft in Rußland, nach einem „dreijährigen Urlaub“, wie er sagte, die Firma Giesecke & Devrient neu in München. Martin Giesecke, den er auf der Fahrt aus der Sowjetunion nach Hof in Leipzig aufsuchte, um ihn zu bewegen, für seine Firma ebenfalls im Westen eine bessere Zukunft zu finden, blieb sieben Jahre am angestammten Ort und sah sich dann 1952 gedrungen, den Sitz des Teubner Verlages nach Stuttgart zu verlegen. Seit den 50er Jahren gehörte Siegfried Otto ratend und helfend dem Beirat von BGT, Martin Giesecke dem Aufsichtsrat von G&D an.

Vier Jahre nach Martin Gieseckes Tod nahm Herr Otto den Verlag B. G. Teubner in sein Eigentum. Wirtschaftliche Gründe gaben nicht den Ausschlag für diesen Schritt; wohl aber unternehmerische. Das Schicksal dieses alten traditionsreichen Verlages, das eng mit dem Geschick von Giesecke & Devrient verknüpft war, bewegte ihn. Vor allem aber erfüllte er ein Treuegebot. Herr Otto sagte mir im Sommer 1969: „Ich habe Martin Giesecke ein Versprechen gegeben, daß er stets auf mich bauen kann, und an dieses Versprechen fühle ich mich gebunden.“ 1975, fünf Jahre nach dem Neubeginn, der eine befriedigende fachliche und wirtschaftliche Weiterentwicklung der Verlagsfirma zur Folge hatte, schrieb mir Herr Otto: „Möge es uns gemeinsam vergönnt sein, trotz widrigen Umständen genügend Kraft und genügend Ideen aufzubringen zum Wohle der uns anvertrauten Unternehmen, der darin tätigen Menschen und damit zum Wohle der deutschen Wirtschaft.“

Gut zwei Jahrzehnte nach der Übernahme unseres Verlages suchten wir 1990 Herrn Ottos Rat und Zustimmung, um den konfiszierten Leipziger Verlag nach 40 Jahren wieder einzugliedern und auch das Grundvermögen der Teubnerschen Firma auf dem Wege der Restitution der Muttergesellschaft Giesecke & Devrient zur Verfügung zu stellen.

Herr Otto schloß die Besprechung mit dem Satz: „Macht Euch klüger.“ Das hieß für uns: Grabt tief genug und legt entschlossen die neuen Fundamente, damit der Bau tragfähig wird. Ein halbes Jahr später erwarben wir den Leipziger Verlag und stellten dadurch die geistige und wirtschaftliche Einheit der Gesamtfirma B. G. Teubner wieder her. Gleichzeitig übernahm G&D wieder die seit dem Kriegsende konfiszierte Leipziger Stammfirma.

An der Restitution des Teubnerschen Grundbesitzes, die im Verlauf von sieben Jahren in Teilen gelang und noch nicht abgeschlossen ist, nahm Herr Otto lebhaft Anteil bis zu meinem letzten Gespräch mit ihm in diesem Frühjahr.

Herr Otto hat uns zeit seines und zeit unseres Lebens das unentbehrliche und unvergängliche Beispiel stets sich erneuernder schöpferischer Kraft im Bunde mit realem, die Wirklichkeit als Sauerteig gestaltenden Ideenvermögen sowie mit unbeugsamem Gestaltungswillen und nicht versiegender Tapferkeit gegeben – sie bleiben in unserem Leben.

Herr Otto hat gerne, um die schöpferischen Kräfte des Unternehmers und das vitale Handeln des Unternehmens zu kennzeichnen, das Paulus-Wort des Korintherbriefes gebraucht: daß wir das Amt nicht des Buchstabens, sondern des Geistes zu führen haben.

Er hat stets auch, ehe ein Philosoph der Gegenwart sie formulierte, aus der Einsicht gelebt: Zukunft braucht Herkunft. Herkunft verbürgten die Unternehmensgründer und Vorgänger, indem sie den Wahlspruch von 1852 erfüllten: In labore virtus adversa virtute repello.

Der Tugend, die in der Arbeit liegt und die ein Unternehmen prägt, hat Herr Otto eine eigene Deutung gegeben, die er von Zeit zu Zeit wiederholte, wenn er den wirtschaftlichen Erfolg begründen wollte: „Immer etwas fleissiger, immer etwas besser und immer etwas schneller sein als die anderen.“

So ist er uns allen als die Geschicke des Unternehmens mit Leidenschaft und Rationalität souverän lenkender Prinzipal vier Jahrzehnte ideengebend und die Aufgaben der Zukunft von G&D stellend und erfüllend vorausgegangen.

Was ein berühmter Gelehrter von Alfred Giesecke 1928 sagte, das gilt auch für den Unternehmer Siegfried Otto: Er trug das ganze, stetig wachsende Unternehmen und seine Mitarbeiter, und er wurde durch sie  und diesen von Leben durchpulsten Firmen-Organismus getragen – die Griechen nannten einen solchen Erbauer, Lenker und Beschützer nach Hermes, dem Hüter der Wege und Gott des Handels: Koinos Hermes.

Siegfried Otto war ein solcher Gründer, Lenker und Schützer, der uns allen die Wege erschloß, die nicht nur vorwärts, sondern aufwärts führen. Seinen Auftrag und seine Botschaft an uns möchte ich umschreiben mit dem Wort des Propheten Jeremias: „Pflüget ein Neues und säet nicht unter die Hecken.“

Wir leben, wie auch er es empfand, in Bedrängnissen – nicht aber, daß sie uns allein Lasten aufbürden und uns bedrücken oder ins Knie zwingen, sondern sie sind uns geschickt, auferlegt, damit wir aufrecht zu gehen lernen, unsere Kräfte sammeln und steigern, also wachsen; damit wir auch die Forderungen dieses und des morgigen Tages nicht nur als Pflicht, sondern mit wachem Geist und mit ganzem Herzen erfüllen. Der Wirkungsgrad und der Wert unseres Handelns beruhen auf dem Vertrauen, das wir schenken und empfangen; auf der Treue, Fides, die wir den Menschen in Handel und Wandel bezeugen: Vertrauen und Treue sind die Quelle unseres Lebens, der sichere Anker unseres Denkens und der untrügliche Kompaß unseres Tuns.

Von den Bedrängnissen, die uns prüfen, damit wir Schritte vorwärts tun können, und die auch Herr Otto als Lebensprüfung verstand, hat Paulus im Römerbrief so gesprochen:

„Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen: Die Bedrängnis verschafft Beharrlichkeit, die Beharrlichkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden.“

Solche Beharrlichkeit, solche Bewährung und solche Hoffnung verkörperte Siegfried Otto in seinem unternehmerischen Leben. Sie tun uns not. Das ist, so glaube ich, sein Vermächtnis an uns. So bleibt er unter uns.


Requiescat in pace
sub terra punica
insulae Pityussae
sive Ibiza.


Siegfried Otto ruht in der punischen Erde
der von ihm geliebten Insel Ibiza.

 

(Quelle:
Dr. h. c. Heinrich Krämer, Schwieberdingen / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2002.)

Erstveröffentlichung online am 27.08.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de


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Siehe auch:
Krämer, Heinrich: Siegf
ried Otto
- Gründer der Firma Giesecke & Devrient in München.
Zu seinem fünften Todestag ...


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Seite erstellt: Leipzig, 27.08.2002.
Seite aktualisiert / erweitert: 30.09.2002.

 

  © Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner (i. G.), Leipzig, 2002.