Manteuffel, Karl:

Abenteuer Lehrbuch:
Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler,
Ökonomen und Landwirte (MINÖL)


Im Jahre 1973 erschienen im Teubner-Verlag Leipzig die ersten Bände der Lehrbuchreihe „Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ökonomen und Landwirte“. Die Zielstellung dieses Lehrwerkes war sehr kühn: nach dem Baukastenprinzip konzipiert, wandte es sich an all jene, die sich im Rahmen ihres Hochschul- oder Universitätsstudiums mit Mathematik beschäftigen mussten. Gewissermaßen entstand eine Mathematik für Nichtmathematiker. Und dieses Lehrbuchangebot umfasste sowohl das notwendige Grundwissen als auch unterschiedliche fachrichtungsspezifische Kenntnisse.
All das geschah nicht von ungefähr. Die allgemeinbildende Schule hatte Anfang der 60er Jahre schrittweise neue Lehrpläne eingeführt, welche für die Abiturientenjahrgänge 1972 und 1973 erstmals vollständig wirksam wurden. Im Bereich des Hochschulwesens war viele Jahre um die Gestaltung des Grundstudiums und auch des Fachstudiums gestritten worden. Für die natur-, ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge setzte sich der Standpunkt durch, dass die Vermittlung solider mathematischer Grundkenntnisse unverzichtbar sei. Aber auch Stellung und Ansehen der Mathematik als Unterrichts- und Lehrfach hatten sich sehr zum Positiven gewandelt; gewiss trugen die Schülerolympiadebewegung und auch der erfolgreiche Einsatz mathematischer Methoden in der Praxis viel dazu bei.

Im Bereich des Hochschulwesens nahm sich die Arbeitsgruppe „Mathematik für Nichtmathematiker“ des Wissenschaftlichen Beirates für Mathematik der Lehrbuchproblematik an. Sehr schnell war man sich einig: die Studierenden sollten befähigt werden, einfache Probleme ihres Fachgebietes selbstständig mathematisch aufzubereiten und bei der Anwendung und Nutzung mathematischer Methoden mitzuwirken. Dazu bedurfte es der Vermittlung grundlegender mathematischer Ausdrucks- und Denkweisen, natürlich auch mathematischer Grundkenntnisse, sowie gewisser, vom Studienfach abhängiger mathematischer Spezialkenntnisse. Die Fixierung der Grundlagen war nicht schwierig; für die Auswahl von Spezialgebieten wurden Wünsche, Vorstellungen und Vorschläge der Ingenieur-, Natur- und Wirtschaftswissenschaftler eingeholt.

Basierend auf unseren Erfahrungen mit der Teubner-Lehrbuchreihe „Mathematik für Technische Hochschulen“ erschien wieder ein Vorbereitungsband. Zusätzlich wurde ein Grundlagenband aufgenommen. Die Analysis gliederten wir stärker auf - von seinerzeit drei Teilbänden nun auf sieben Teilbände. Der frühere Titel „Lineare Algebra und Lineare Optimierung“ wurde geteilt. Die Gewinnung von Autoren, die Vorschläge für weitere Titel, die Arbeit mit den Manuskripten, die Vorschläge von Gutachtern und viele Dinge mehr wurden in die Verantwortung eines sechsköpfigen Herausgebergremiums gelegt, dem Otfried Beyer (Magdeburg), Horst Erfurth (Merseburg), Otto Greuel (Mittweida), Horst Kadner (Dresden), Karl Manteuffel (Magdeburg) und Günter Zeidler (Berlin) angehörten. Außer dem verstorbenen Otto Greuel sind die oben genannten sowie Christian Großmann (Dresden) und Manfred Schneider (Chemnitz) auch die gegenwärtigen Herausgeber dieses erfolgreichen Teubner-Lehrwerkes.

Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Reihe war deren inhaltliche, methodisch-didaktische und äußere Gestaltung. Wir entschieden uns für bestimmte Grundsätze und unterbreiteten den Autoren und dem Verlag die erarbeiteten Hinweise. In der Zusammenarbeit mit Teubner gab es keinerlei Probleme; die zuständigen Verlagslektoren Dorothea Ziegler (bis 1984) bzw. Jürgen Weiß (seit 1984) gehörten damals auch der o. g. Arbeitsgruppe als gleichberechtigte Mitglieder an und beriefen verlagsseitig die Herausgeberbesprechungen ein.

Parallel verliefen die Arbeiten an den Grundlagenbänden und an der Vorbereitung der Spezialbände. War ursprünglich an etwa 10 bis 12 Bücher gedacht, so zeigte sich sehr bald, dass wir damit den Wünschen und Vorschlägen der Fachwissenschaftler, der Mitglieder der Arbeitsgruppe und auch der Herausgeber nicht gerecht werden konnten. Schließlich sind die folgenden weiterführenden Titel im Rahmen des Lehrwerkes erschienen: Operatorenrechung, Partielle Differentialgleichungen, Spezielle Funktionen, Komplexe Funktionen und konforme Abbildungen, Numerische Methoden, Tensoralgebra und -analysis, Graphentheorie, Nichtlineare Optimierung, Optimale Prozesse und Systeme, Simulationsmethoden, Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik, Stochastische Prozesse und Modelle, Statistische Versuchsplanung, Spieltheorie, Funktionalanalysis, Theorie und Anwendung der Symmetriegruppen. Bis 1981 lagen alle diese Hochschullehrbücher vor, der Vorbereitungsband und auch die Grundlagenbände sowie verschiedene Spezialbände bereits in mehreren Auflagen.

Dabei hatten wir Herausgeber umfangreiche Arbeiten zu leisten: Verbesserungsvorschlägen und Kritiken musste nachgegangen werden, Rezensionen waren auszuwerten, vor allem die Abstimmung der Bände untereinander erforderte viel Aufmerksamkeit. Die Zusammenarbeit der Herausgeber verlief problemlos; jeder war kompromissbereit, und wir fanden zu jedem Problem einen gemeinsamen Standpunkt. Einheitliche Auffassungen waren für den Erfolg unabdingbar, und zwar sowohl gegenüber dem Verlag in Leipzig als auch gegenüber dem Wissenschaftlichen Beirat Mathematik des Hochschulministeriums in Berlin. Doch es gab nicht nur Pflichten für die Herausgeber, wir hatten auch sehr viele Rechte, die über inhaltliche Fragen hinausgingen: in Entscheidungen über die Einbandgestaltung bzw. die typographische Gestaltung der Reihe wurden wir seinerzeit einbezogen. Hinzu kamen Anfertigung des Gesamtgutachtens (das letztlich über die Manuskriptannahme im Verlag entschied), Imprimaturerteilung, Vorgaben für den Umfang eines Titels und vieles mehr. Stets musste damals der vorgegebene Buchumfang genau beachtet werden: die Bücher durften nicht dicker werden, denn das Papier wurde dem Verlag zugeteilt. Wir verwendeten weder Hochglanzpapier noch Leineneinband, damit günstige Ladenpreise gehalten werden konnten.

Die Lehrbuchreihe wurde wohlwollend aufgenommen. Die zunächst nur intern benutzte Abkürzung „MINÖL“ – ursprünglich aus einer Laune heraus entstanden und als Synonym für „Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ökonomen und Landwirte“ gedacht – wurde sehr schnell Allgemeingut. In vielen Rezensionen spiegelte sich die breite Anerkennung wider. Bedeutungsvoll war dabei auch, dass internationale Referateorgane und Zeitschriften sowohl der Mathematik als auch der Ingenieurwissenschaften außerordentlich positive Besprechungen publizierten (z. B. L‘ Enseignement Mathematique, Publicationes Mathematicae, Computing, Het Ingenieursblad, Crystal Research and Technology, Rudarsko-Metallkurzki Zbornik).  Informationseinrichtungen wie das „Institut für Wissenschaftliche Information Moskau“ oder die „Besprechungen und Annotationen der Einkaufszentrale für öffentliche Büchereien Reutlingen“ veröffentlichten Rezensionen bzw. Ankündigungen. Nun lagen ein Vorbereitungsband und 26 Lehrbücher vor, letztere trugen alle das Prädikat „Anerkanntes Hochschullehrbuch“.

Zu diesem Zeitpunkt (1981) stellten wir die Frage nach weiteren Ergänzungen der Reihe. Eigentlich ging es um drei Themenkreise:

1.
   
Ist eine Aufgabensammlung erforderlich?
2.
   
Wird eine Formelsammlung benötigt?
3.
   
Soll ein Band „Integralgleichungen“ vorbereitet werden?

Bei den Integralgleichungen entschieden wir uns für „vorerst zurückstellen“.
Eine spezielle Formelsammlung hielten wir - auch mit Blick auf das begrenzte Papierkontingent des Teubner-Verlages - nicht für erforderlich, weil es verschiedene brauchbare Bände auf dem Markt gab. Aber 1. wollten wir unbedingt in Angriff nehmen. Wir schlugen eine Aufteilung in vier Übungsbände vor: Analysis I; Analysis II; Lineare Algebra und lineare Optimierung; Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. Doch die Teubner-Verlagsleitung zögerte zunächst, weil auch hier das Argument „reichlich vorhanden“ zutraf und zudem das Papier immer knapper wurde. Aber schließlich konnten wir uns doch durchsetzen, denn „vorhanden sein“ bedeutet keinesfalls notwendigerweise „geeignet sein“.

Inzwischen wurden in Leipzig produzierte Teilauflagen auch in der Schweiz und in der Bundesrepublik vom Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt/Main, vertrieben: von 1978 bis 1987 erschienen der Vorbereitungsband, alle 26 Bände der Reihe und die zu einem Buch vereinigten vier Übungsaufgabenbände in diesem Verlag unter dem Reihentitel MINÖA (Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ökonomen und sonstige anwendungsorientierte Berufe).

Im Jahre 1988, 15 Jahre nach Veröffentlichung der ersten Bände des Lehrwerkes, konnte ein überaus erfolgreiches Zwischenergebnis präsentiert werden: insgesamt lagen (ohne die Teilauflagen) 102 Auflagen vor mit mehr als 520.000 Exemplaren. Als Herausgeber, Autoren und Gutachter waren 85 Wissenschaftler von 16 Universitäten und Hochschulen beteiligt. Dem Lehrwerk wurden gelungene methodische Darstellung, mathematische Exaktheit, geschickte Stoffauswahl, Anwendungsorientiertheit sowie gute Abstimmung der Bände aufeinander bescheinigt. MINÖL - ein Erfolg für alle beteiligten Autoren und Herausgeber und für den BSB B. G. Teubner Verlagsgesellschaft in Leipzig.


 

 Der Autor dieses  Beitrages (Magdeburg 1981).

 (Foto: Prof. Dr. Karl Manteuffel /
 Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner.)



(Quelle:
Prof. em. Dr. Karl Manteuffel, Magdeburg / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner, Leipzig, 2002.)

Erstveröffentlichung online am 15.09.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de

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In Vorbereitung für diese Homepage:

- Manteuffel, Karl:
  Abenteuer Lehrbuch: Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler.


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Siehe auch:

- Manteuffel, Karl: Abenteuer Lehrbuch: Mathematik für Technische Hochschulen ... 
 
Erstveröffentlichung online am 21.03.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de

- Ziegler, Dorothea: Notizen über die Entwicklung von Mathematik-Lehrbüchern im Teubner-Verlag Leipzig (2002) ...
 
Erstveröffentlichung online am 21.02.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de

- Mathematik für Technische Hochschulen (MTH: 1966-1972) / Reihenübersicht ...

- Mathematik für Ingenieure, Naturwissenschaftler, Ökonomen und Landwirte (MINÖL: 1973-1992) /
  Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler (MfIN: seit 1993) / Reihenübersicht ...

 

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Siehe auch:

Aus Teubner-Büchern (von Albert Einstein
über "Ach Gott, ein Mathematiker!" bis zu
einer Fehleinschätzung von Bill Gates) ...



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Seite erstellt: Leipzig, 15.09.2002.

 

  © Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner (i. G.), Leipzig, 2002.