13. Oktober 1952:
Martin
Giesecke /
Herbert
Heisig:
Betriebsleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung
der
Firma B. G. Teubner u. B. G. Teubner Verlagsgesellschaft
zu Hd. Herrn Karl Taupitz. Leipzig C 1. Poststraße 3
Zu unserem großen Bedauern müssen wir Ihnen heute folgendes mitteilen:
Wie Sie wissen, hat uns die Entwicklung, die die Verlagsarbeit im vergangenen
Dreivierteljahr genommen hat, mit größter Besorgnis erfüllt. Die Tatsache, daß
den westdeutschen Autoren des Verlags, die ja etwa 70% der gesamten Autoren
ausmachen, seit Anfang dieses Jahres so gut wie keine Honorare in DMW gezahlt
werden konnten und auch Verfügungen über Westzonenkonten und Westsektorenkonten
in den letzten Monaten nicht oder nur in ganz beschränktem Umfange möglich
waren, hat, wie der Fall Kohlrausch zeigt, die Verlagsrechte in eine Gefahr
gebracht, die sich im Laufe der nächsten Wochen zu einer Katastrophe ausgewirkt
hätte. Es ist Ihnen weiterhin bekannt, daß Lieferungen nach Westdeutschland zwar
in beschränktem Umfange möglich sind, daß aber die Aufnahme der Bücher des
Verlags durch westdeutsche Sortimenter zufolge der Lieferungsbehinderungen seit
langem praktisch gleich Null war.
Hinzu kommen die in den letzten Monaten in immer stärkerem Ausmaß aufgetretenen
Schwierigkeiten der Herausgabe von Neuauflagen und Neubearbeitungen,
insbesondere von Fachbüchern westdeutscher Autoren, die den politischen
Anforderungen wie auch den fachwissenschaftlichen Gegebenheiten der DDR nicht
entsprachen bzw. entsprechen konnten und somit zwangsläufig zu der Frage der
Weiterführung dieser Veröffentlichungen überhaupt führten. Wir erinnern
insbesondere an die Beurteilung des Werkes
Frick-Knöll "Baukonstruktionslehre"
und der "Maurerfachkunde" durch Herrn Starck sowie an die sonstigen Angriffe des
Genannten auf einer fachwissenschaftlichen Tagung, ferner an die Schwierigkeiten
der Fortführung der "Tischlerfachkunde".
Auf Grund dieser Sachlage, die Ihnen ja genau so bekannt ist wie uns und auf die
im einzelnen einzugehen, es sich daher erübrigt, war die Entscheidung gegeben,
ob der Verlag in der DDR praktisch an Auszehrung zugrunde gehen soll, denn ein
Neuaufbau des Verlags auf den Gebieten der Mathematik, Naturwissenschaften und
Technik mit Autoren der DDR ist durch das Bestehen des Fachbuchverlags, des
Verlags Technik, des Verlags der deutschen Wissenschaften und des
Akademie-Verlags von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es ist nicht nur uns,
sondern auch Ihnen bekannt, daß die erwähnten Staatsverlage zufolge ihrer
führenden Stellung die Fachwissenschaftler der DDR künftig noch weit stärker als
bisher mit Unterstützung der zuständigen Ministerien für sich als Autoren
heranziehen werden und auch sonst in jeder nur denkbaren Weise einen solchen
Neuaufbau des Verlags behindern würden.
Hinsichtlich des wissenschaftlichen Verlags sei noch erwähnt, daß die von
namhaften Wissenschaftlern der DDR anerkannte Notwendigkeit der Zusammenarbeit
mit Gelehrten aus Westdeutschland, insbesondere auf speziellen Wissensgebieten,
vor allem deshalb immer wieder auf Schwierigkeiten stieß, weil nicht die
Möglichkeit der Zusage einer Zahlung des Honorars in DMW bestand, ja
darüberhinaus seit geraumer Zeit nicht einmal Verträge mit westdeutschen Autoren
abgeschlossen werden konnten. – Ferner hätte auch die Mitwirkung an der
Broschürenreihe der Großen Sowjetischen Enzyklopädie den westdeutschen Autoren,
auf deren Mitwirkung der Verlag bei seiner besonderen Struktur nicht verzichten
kann, die Zusammenarbeit mit uns unmöglich gemacht, da die Artikel dieses
Werkes, wie ja auch der zur Leipziger Herbstmesse herausgekommene Prospekt
besagt, eine Betrachtung der betreffenden Wissensgebiete unter dem Gesichtspunkt
des Marxismus-Leninismus darstellen, was uns erst in den letzten Wochen bekannt
wurde.
Seit Monaten hat unsere Verlagsarbeit zu einem ganz überwiegenden Teil weitaus
weniger in positiver verlegerischer Tätigkeit als vielmehr vorwiegend darin
bestanden, die Schwierigkeiten der Honorarzahlungen, der Lieferungen, der
Vertragsabschlüsse, der Freiexemplarversendungen usw. mit allen in Frage
kommenden Amtsstellen mündlich und schriftlich zu erörtern und die Autoren trotz
aller Behinderungen hinzuhalten und zu vertrösten, nur um die Verlagsrechte
nicht zu verlieren. Allein in der Honorarfrage sind im letzten Halbjahr etwa 30
Besprechungen gewesen, Briefe geschrieben und Listen eingereicht worden. Trotz
unseres dauernden Hinweises auf die immer kritischere Situation sind wir laufend
vertröstet worden. Demgegenüber war und ist es z. B. dem Akademie-Verlag
möglich, Honorarzahlungen in DMW zu leisten, wie sich dies aus der
Zusammenarbeit bezüglich der Bibliotheca Teubneriana ergab. Wir können es auch
nicht mehr verantworten, Werke westdeutscher Autoren zu drucken, ohne die Gewähr
dafür zu haben, daß diese dann auch wirklich ihr Arbeitsentgelt erhalten.
Überdies sind wir auf Grund des Verlagsvertrags zur Zahlung zumindest eines
Teils des Honorars bei Erscheinen des Buches verpflichtet, und wir würden uns
praktisch eines Vertragsbruches schuldig machen, wenn wir weiterhin Werke
westdeutscher Autoren drucken, ohne die Garantie der Zahlungsmöglichkeit zu
haben.
Es sei ferner die Tariffrage gestreift, die es einem Privatverlag z. Zt. nur
ermöglicht, für leitende Kräfte wie fachwissenschaftliche Mitarbeiter usw. ein
Höchstgehalt von 700,-- DM zu gewähren. Ein diesen Betrag überschreitendes
höheres Gehalt muß in der Differenzsumme steuerlich als Gewinnverwendung
behandelt werden. Demgegenüber sind die staatlichen oder volkseigenen Verlage an
eine solche Höchstgrenze nicht gebunden, abgesehen von den ihnen möglichen
Prämienzahlungen.
Für den graphischen Betrieb hat
sich in dem letzten Jahr eine Entwicklung vollzogen, die seine Weiterführung
unmöglich macht. Die Monate der Kurzarbeit Ende des Jahres 1951 und Anfang 1952
haben zu derartig hohen Verlusten und zu einem solchen Entzug von Geldmitteln
geführt, daß es in den vergangenen Monaten nur mit allergrößten Schwierigkeiten
möglich war, die Mittel zu seiner Fortführung bereitzustellen. Die Materiallage,
im besonderen die Papierlage, hat sich in den letzten Wochen derart
verschlechtert, daß die Hoffnung auf eine ausreichende Beschäftigung in den
kommenden Wochen und Monaten nicht mehr besteht. Nach den erhaltenen Auskünften
ist nicht damit zu rechnen, daß in diesem Jahr noch in nennenswertem Umfange
Papierlieferungen bzw. Zuweisungen erfolgen werden. Wenn auch die volkseigenen
Betriebe zum Teil unter diesen Materialschwierigkeiten zu leiden haben, so ist
aus den letzten Besprechungen wie auch aus der Durchführung von Arbeiten für
volkseigene Verlage klar zu erkennen gewesen, daß in erster Linie der Bedarf
dieser Betriebe gedeckt wird und erst in zweiter Linie der eines Privatbetriebs.
Diese Schwierigkeiten der Materialversorgung wirken sich auch auf die Produktion
des Verlags aus, und es ist bekannt, daß andere Privatverlage, die mit
volkseigenen graphischen Betrieben arbeiten, sich in dieser Hinsicht durchaus in
einer günstigeren Situation befinden. Die Frage der rentablen Produktion des
Graphischen Betriebs ist häufig Gegenstand von Besprechungen gewesen, und es ist
in früheren Jahren nur durch die Teubner noch zufließenden Erträgnisse des
Verlags möglich gewesen, die hohen Verluste des Graphischen Betriebs
einigermaßen auszugleichen. Daß der Graphische Betrieb laufend mit Verlust
arbeitet, ist gewiß mit darauf zurückzuführen, daß die Betriebsabteilungen zum
Teil getrennt voneinander arbeiten müssen. Dies ist ja mit ein Grund dafür
gewesen, in Verhandlungen des Verkaufs des Grundstücks
Poststrasse 3
einzutreten, um mit diesem Verkaufserlös den Ausbau der Querstrasse und somit
die Übersiedlung der Setzerei nach dort durchführen zu können. Selbst wenn aber
der Verkauf zustandegekommen wäre, würde der Ausbau der Querstrasse nach
bisherigen Ermittlungen allein schon an der Materialfrage gescheitert sein.
Auch bezüglich des Graphischen Betriebes kann die Tariffrage nicht unerwähnt
bleiben. Es ist auf die Dauer einem Privatbetrieb nicht möglich, qualifizierte
Arbeitskräfte nur durch eine übertarifliche Lohnzahlung, die steuerlich eine
Gewinnverwendung darstellt, zu halten, während die volkseigenen Betriebe
demgegenüber die Möglichkeit haben, Leistungslöhne zu zahlen. Dieser Umstand hat
gerade in allerletzter Zeit zu Kündigungen erster Kräfte des Graphischen
Betriebs geführt. – Voraussetzung für eine Fortführung des Graphischen Betriebs
würde sein müssen: eine volle Beschäftigung in allen Abteilungen mit den dafür
erforderlichen Materialzuweisungen, eine räumliche Zusammenlegung der
Abteilungen wie schließlich Löhne und Preise, die in einem gesunden Verhältnis
zueinander stehen. Mit diesen Voraussetzungen ist jedoch in keiner Weise zu
rechnen.
Die vorstehend in großen Zügen dargelegten Verhältnisse haben uns zu dem
Entschluß kommen lassen müssen, unsere Arbeit in Leipzig nicht mehr
fortzusetzen. Daß uns dieser Entschluß, nachdem wir beide unter Einsatz aller
Kräfte an dem Aufbau des Betriebes in den vergangenen sieben Jahren gewirkt
haben, außerordentlich schwergefallen ist, bedarf an sich nicht der Erwähnung,
ganz abgesehen davon, daß wir damit auch unseren Lebenskreis in
Leipzig
aufgeben. Uns von den Mitarbeitern zu trennen, mit denen wir meist über
Jahrzehnte zusammen gearbeitet haben, ist uns wirklich mehr als schmerzlich, im
besonderen von dem engeren Mitarbeiterkreis, dem wir uns auch persönlich so eng
verbunden fühlen. Wir konnten aber auf Grund der Gesamtlage des Betriebs die
Gewissheit haben, daß es auf längere Sicht auch bei unserem Verbleiben nicht
mehr möglich gewesen wäre, die Arbeit des Betriebs fortzuführen und damit den
Mitarbeitern ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Diese Erkenntnis ist für unser
Handeln von wesentlicher Bedeutung gewesen.
Wir haben angesichts der Schwere der Entscheidung es mit voller Absicht
unterlassen, irgendjemand von unserem Entschluß zu verständigen, der erst in den
letzten Wochen entstand, in denen wir übersahen, welche Entwicklung unsere
Arbeit in Zukunft nehmen würde. Es ist ein tragisches Geschick, daß uns die
geschilderte Entwicklung der Verhältnisse eine Weiterarbeit in Leipzig unmöglich
gemacht hat, und wir nehmen schmerzlich bewegt mit dem Ausdruck des Dankes von
allen unseren Mitarbeitern hiermit Abschied.
gez. Martin Giesecke gez.
Dr. Herbert Heisig
PS. Dem Amt für Literatur wird von dem Rechtsunterzeichneten binnen kurzem
geschrieben werden, daß er die ihm erteilte Lizenz niederlegt. Wir werden Ihnen
hiervon Durchschlag übermitteln.
(Quelle:
Archiv der Stiftung Benedictus
Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart 2003.)
Erstveröffentlichung online am
21.02.2003 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de
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Seite
aktualisiert / erweitert:
21.02.2003.
Seite eröffnet: Leipzig,
21.02.2003.
©
Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart 2003.
Haus des Buches.
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Die Teubner-Stiftung wirkt gemeinnützig. Sie fördert Wissenschaft und Forschung
im Sinne von B. G. Teubner.
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V.i.S.d.M.: Jürgen Weiß.
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