Frommhold, Alfred:

Ein halbes Jahrhundert bei B. G. Teubner
 

Noch während meiner Schulzeit wurde ich 1935 - wie alle Gleichaltrigen - zur Berufsberatung bestellt, und zwar in das heutige AOK-Gebäude, in der Nähe des Leipziger Waldplatzes. Eigentlich hatte ich Drogist werden wollen, aber die Berufsberater empfahlen mir, Schriftsetzer zu lernen. Ich erhielt meine Berufsberatungskarte und die Information, dass die Leipziger Firmen C. G. Röder im Gerichtsweg und B. G. Teubner in der Poststraße Lehrlinge suchten. Damals wusste ich noch gar nicht, was das für ein Beruf ist. Doch meine Großmutter in Lindenau, die früher als Anlegerin in der Druckerei Jachner & Fischer in Leipzig gearbeitet hatte, konnte mir einige erste Grundbegriffe des graphischen Gewerbes erklären, vor allem die Tätigkeit eines Schriftsetzers.
So vorinformiert führte mich mein Weg im Herbst 1935 vom Augustusplatz in das repräsentative Teubner-Gebäude in der Leipziger Poststraße 3. Dort meldete ich mich beim Pförtner Alfred Barche, und er wies mir den Weg in die zweite Etage, zum damaligen Technischen Leiter, Herrn Schulz. Ich stellte mich vor, und schon kurze Zeit später traf per Post der Teubner-Lehrvertrag ein, den meine Eltern unterschrieben zurückschickten.

Unmittelbar nach Beendigung der Schulzeit begann am 1. April 1936 meine Schriftsetzerlehre bei B. G. Teubner. Lehrmeister waren die erfahrenen Setzermeister Paul Fritzsche und Walter Nitze. Das Betriebsklima bei Teubner habe ich in angenehmer Erinnerung. Wir wurden sehr gut ausgebildet, und es gab auch in wirtschaftlich schwierigen Jahren keine Massenentlassungen wie in vielen anderen Betrieben. In verschiedenen Druckereien wurde damals ein Teil der Belegschaft jeweils am 20. Juni entlassen und im Juli wieder eingestellt, um das Urlaubsgeld zu sparen; die nächsten Entlassungen traten dann vom 20. Dezember bis Anfang Januar in Kraft, damit das Weihnachtsgeld nicht ausgezahlt werden musste. Derartiges kannten wir bei B. G. Teubner nicht. In besonders schlechten Zeiten, aber auch noch in den Jahren 1935 bis 1937, hatten wir zwar vorübergehend Kurzarbeit, doch es gab kaum Entlassungen. Wir bekamen preiswertes Betriebsessen, und es existierte sogar - was keineswegs üblicher Standard war - eine Rentenkasse, aus der ehemalige Teubnerianer ab dem 65. Lebensjahr eine zusätzliche Betriebsrente erhielten.


Im Oktober 1939 hatte ich ausgelernt, durch den Kriegsbeginn Anfang September sogar ein paar Monate früher als ursprünglich vorgesehen. Ab März 1940 bin ich dann in die Mitteldeutschen Motorenwerke in Portitz dienstverpflichtet worden, und im Februar 1941 wurde ich eingezogen. Nach dem Krieg und kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrte ich im September / Oktober 1946 nach Leipzig zurück und natürlich auch wieder zur Firma B. G. Teubner.


Inzwischen befand sich die Teubner-Setzerei nicht mehr in dem am 4. Dezember 1943 zerstörten zentralen innerstädtischen Areal Poststraße / Querstraße / Teubners Hof / Augustusplatz (siehe auch Willy Geithner: Bericht über die Angriffsnacht am 4.12.1943 im Werk B. G. Teubner, Leipzig C1, Poststr. 3/5. Erstveröffentlichung online am 1.07.2001 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de), sondern im Gebäude der ehemaligen Druckerei Oskar Leiner in der Goldschmidtstraße 28, der früheren Königstraße. Über den Kauf der Firma O. Leiner durch B. G. Teubner 1945 berichtete einige Jahre später Martha Schlenker (25-Jahr-Feier des Eintritts von Herrn Martin Giesecke als geschäftsführender Mitinhaber in die Firma B. G. Teubner. Ansprache von Martha Schlenker, Stuttgart, 1.07.1957. Erstveröffentlichung online am 21.02.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de): „24 Stunden nachdem der Kaufvertrag unterschrieben und der Kaufpreis beglichen war, wurde die Druckerei Oskar Leiner von der sowjetischen Besatzungsmacht versiegelt, weil die Maschinen demontiert werden sollten ... nach intensiven Bemühungen an hoher und höchster Stelle gelang es schließlich, die Freigabe des Betriebes Oskar Leiner zu erwirken, doch inzwischen war ein großer Teil der Maschinen, und zwar die wichtigsten, bereits demontiert worden. Der verbliebene Teil bildete dann neben den wenigen, aus den Trümmern geborgenen Maschinenteilen, die unter großem Zeit- und Geldaufwand wieder zu Maschinen zusammengebaut wurden, den Grundstock für den eigenen graphischen Betrieb.“ (Zum schweren Neubeginn siehe auch Günter Vockert: Erinnerungen an die Anfänge bei B. G. Teubner in Leipzig 1945. Erstveröffentlichung online am 21.02.2002 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de)


Mein täglicher Arbeitsweg führte mich nun mit der Straßenbahn von Mockau bis zum Augustusplatz und von dort zu Fuß in die Goldschmidtstraße / Ecke Talstraße. Dort befand sich mein Arbeitsplatz im dritten Stock, Blick Richtung Stephanstraße. Setzerkollegen waren damals beispielsweise Rudolf Illgen, Max Treidler und Kurt Wörn.


Eine bemerkenswerte Geschichte möchte ich hier noch erzählen, aber ohne Namensnennung: Als Lehrling wollte mich ein Vorgesetzter 1937 für die Hitlerjugend gewinnen. Ich hatte dazu aber keine Lust, und auch meine Eltern rieten mir ab. So versuchte ich es mit verschiedenen Ausflüchten, bis hin zu der Ausrede, ich könne mir die „teure Uniform“ nicht leisten. „Trägt alles B. G. Teubner“, versicherte man mir daraufhin, und so landete ich schließlich doch noch in der HJ. Als ich nach dem Krieg wieder bei Teubner angekommen war, sprach mich genau jener alte und nun neue Vorgesetzte an: „Alfred, du bist doch ein Arbeiterkind. Dein Platz ist in der SED!“ – Wenn sich auch die Zeiten geändert hatten, die Methoden überlebten offenbar ... Aber diesmal war ich kein Lehrling mehr und entgegnete, dass man doch seine Gesinnung nicht wechseln könne wie ein Hemd. So blieb ich der SED fern bis zum Ende der DDR, und das war auch gut so. Die Parteigruppe bei Teubner war übrigens zahlenmäßig stets relativ klein, aber sie hatte zunehmend das Sagen, wie auch das folgende Beispiel deutlich zeigt:
Anfang 1950 begann ich zusammen mit etwa 20 Setzern aus anderen Leipziger Betrieben einen einjährigen Meisterlehrgang, den ich erfolgreich abschloss. Ende 1951 wurden uns bei einer abendlichen Feier im Burgkeller am Leipziger Naschmarkt die Meisterbriefe als Schriftsetzermeister überreicht. Doch genau jener Parteigenosse, der mir abends gegen 20 Uhr den Meisterbrief aushändigte, hatte mir und weiteren sieben Teubner-Setzern am gleichen Tag gegen 15.30 Uhr die Entlassungspapiere an unsere Arbeitsplätze in der Goldschmidtstraße 28 gebracht. Zusammen mit dem Meisterbrief erhielten die anderen Absolventen des Meisterlehrgangs jeweils auch kleinere Geschenke und Anerkennungen ihrer Betriebe zur bestandenen Meisterprüfung. Ich bekam nichts von B. G. Teubner. Als ich in abendlicher Runde mein Teubner-Entlassungsschreiben vom gleichen Tage vorzeigte, wollte das eigentlich niemand so recht glauben ...
Offiziell gab man als Entlassungsgrund „Arbeitsmangel“ an, und tatsächlich hatte die zunehmend schwierige wirtschaftliche Lage Anfang der fünfziger Jahre teilweise wieder Kurzarbeit zur Folge (siehe hierzu auch den erstmals auf dieser Homepage veröffentlichten, damals bereits aus Westdeutschland geschriebenen Brief  Martin Giesecke / Herbert Heisig: Schreiben an die Betriebsleitung und Betriebsgewerkschaftsleitung der Firma B. G. Teubner in Leipzig C1, Poststr. 3, vom 13. Oktober 1952. Erstveröffentlichung online am 21.02.2003 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de).
Eigentlicher Ausgangspunkt für die damaligen Entlassungen war jedoch der offizielle, staatlich verordnete Rummel um den Teubner-Setzer und Aktivisten Walter Streng. In der Tagespresse erschien Parteigenosse Streng auf der Titelseite, und ein großflächiges Plakat am Leipziger Augustusplatz (Karl-Marx-Platz) bezeichnete ihn als „Adolf Hennecke des Graphischen Gewerbes“, was seinerzeit als offizielles Lob zu verstehen war. Doch wir als erfahrene Schriftsetzer hatten die sogenannte „Methode Streng“ kritisiert und kein Blatt vor den Mund genommen. Dabei ging es um mehrspaltigen Umbruch, und zwar im Zusammenhang mit dem vielbändigen Teubner-Lexikon „Thesaurus Linguae Latinae“ (das bis 1999 bei B. G. Teubner Stuttgart / Leipzig weitergeführt wurde und nach dem Verkauf des Teubner-Verlages an den Bertelsmann-Konzern im Verlag K. G. Saur München Leipzig erscheint).

Diese „Methode Streng“ war nichts Neues: der Bleisatz wurde spaltenweise auf extra zurecht gelegte Bretter „geschoben“ und nicht wie meist üblich „gehoben“. Ähnliche Arbeitsweisen gab es in verschiedenen anderen Setzereien schon wesentlich früher, beispielsweise beim mehrspaltigen Satz von Telefon- oder Adressbüchern. Und die „grandiose Übererfüllung“ der Norm hatte er nur deshalb geschafft, weil für jene Schicht rundum ideale Bedingungen vorbereitet worden waren, wie man sie in der tagtäglichen, meist von Engpässen beeinträchtigten Nachkriegsproduktion praktisch nie antraf.
Jedenfalls nahm Walter Streng, gelernter Setzer, als „Aktivist der ersten Stunde“ eine steile Parteikarriere und stand, wie damals auch Hennecke, unter dem Schutz der Obrigkeit. In offiziellem Auftrag setzte er sich dann 1951/52 als „staatlicher Aufpasser“ einfach mit ins Dienstzimmer des von der Belegschaft sehr geschätzten Chefs Martin Giesecke (Ururenkel des Firmengründers Benedictus Gotthelf Teubner). Streng nahm sogar Telefongespräche entgegen, die im Teubner-Gebäude Poststraße 3 direkt von der Telefonzentrale an Herrn Giesecke durchgestellt worden waren.

Wir Setzer hatten also die „Methode Streng“ öffentlich kritisiert. Die Entlassung von acht Teubner-Setzern Ende 1951 ging ausschließlich auf die damaligen führenden SED-Genossen im Betrieb zurück; weder Herr Giesecke noch unsere unmittelbaren Kollegen konnten dagegen etwas unternehmen.


Nach der Entlassung kam uns aber zugute, dass wir auch bei den Setzern in anderen Betrieben fachlich anerkannt waren. Der Name „Teubnerianer“ galt als Qualitätssiegel im Graphischen Gewerbe. Als erfahrener Setzer, nun auch noch mit Meisterbrief, fand ich 1951 sofort eine neue Arbeitsstelle: in der Druckerei Oswald Schmidt in der Leipziger Oststraße. Andere gingen beispielsweise zu Offizin Andersen Nexö in der Salomonstraße. Bei Oswald Schmidt fragte man mich übrigens, ob „die denn bei Teubner verrückt geworden wären, acht erfahrene Schriftsetzer einfach zu entlassen“. Schon wenige Wochen später suchte Teubner per Zeitungsanzeige wieder neue Setzer. Doch für mich schien das Thema erledigt.

Aber im Jahre 1957, Genosse Streng war inzwischen verstorben, brauchte die Teubnersche Setzerei einen neuen Saalmeister. Man sprach mich an, und so kam es, dass ich von 1957 bis 1975 Saalmeister bei B. G. Teubner in der Querstraße (dem heutigen Georgiring 3a) wurde. Die Teubner-Setzerei hieß später Druckformenherstellungszentrum und Leipziger Druckhaus (Werk XIII); schließlich gehörte das Gebäude Georgiring 3a auch zu Interdruck Graphischer Großbetrieb Leipzig, als Lichtsatzzentrum. Doch da war ich schon in der Herstellungsabteilung des Verlages B. G. Teubner.

Mitte 1975 kehrte ich in die Goldschmidtstraße 28 zurück, und sogar genau wieder in jene dritte Etage, in der ich 1946 schon als Teubner-Setzer gearbeitet hatte. Inzwischen waren in diesem Eckgebäude Goldschmidtstraße / Talstraße (der früheren Druckerei Oskar Leiner, dem heutigen „Palais Goldschmidtstraße“) die Lektorate und die Herstellung des BSB B. G. Teubner Verlagsgesellschaft Leipzig untergebracht, und dort arbeitete ich als Verlagshersteller bis zum Eintritt ins Rentenalter 1987 in sehr angenehmer, kollegialer Atmosphäre.

Es freut mich sehr, dass ich von der „Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart“ gebeten worden bin, ab 21. Februar 2003 als persönliches Mitglied im ehrenamtlichen Stiftungsbeirat mitzuwirken.



(Quelle:
Alfred Frommhold, Leipzig / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart 2003.)

 Erstveröffentlichung online am 21.02.2003 unter www.stiftung-teubner-leipzig.de

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 Teubner-Lehrvertrag (Setzer) vom Februar 1936

(Quelle:
Alfred Frommhold, Leipzig / Archiv der Stiftung Benedictus Gotthelf Teubner Leipzig / Dresden / Berlin / Stuttgart 2003.)



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 Seite aktualisiert / erweitert:  
16.03.2003.
Seite eröffnet: Leipzig, 21.02.2003.


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V.i.S.d.M.: Jürgen Weiß.
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